Leserbrief des Bündnis ME/CFS zum Artikel "Sport hilft gegen Chronisches Erschöpfungssyndrom", Weltonline vom 3.4.2011

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sehr geehrter Chefredakteur Jan-Eric Peters,

 

wir beziehen uns auf Ihre Artikel "Sport hilft gegen Chronisches Erschöpfungssyndrom" vom 3.4.2011 und "Wie der Schlaf wieder erholsam werden kann" vom 24.08.2010.

 

Das Bündnis ME/CFS ist der größte Zusammenschluss von Patientenorganisationen der Krankheit "Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome" in Deutschland. Wir wurden in dieser Woche durch Beschwerden von zahlreichen Mitgliedern auf Ihren Artikel vom Sonntag aufmerksam. Da "Welt Online" damit zum wiederholten Male die Krankheit ME/CFS einseitig und verharmlosend aus der Sicht einer bestimmten Psychiatergruppe aus Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland darstellt, möchten wir Sie auffordern, dieser schweren neuro-immunologischen Krankheit in Zukunft besser Rechnung zu tragen und somit das Leid der ungefähr 300.000 Patienten in Deutschland nicht weiter zu verschärfen.

 

Der Begriff "Chronic Fatigue Syndrome" wurde nicht als Sammelbegriff für unerklärbare Erschöpfungszustände geprägt, sondern entstand 1988  durch die US-Behörde CDC für einen von mehreren Clusterausbrüchen einer offensichtlich infektiösen Krankheit durch einen bis dato unbekannten Erreger in Incline Village, Nevada. Ähnlich der Multiplen Sklerose tritt ME/CFS sowohl in Clustern als auch sporadisch auf. Die WHO führt CFS unter G 93.3 im ICD-10 Katalog als neurologische Erkrankung.

 

Bei ME/CFS handelt es sich nicht um "chronische Müdigkeit", "chronische Erschöpfung" oder um eine Form der Depression. Die von Ihnen im Artikel genannten Symptome "abgespannt, müde, antriebslos" sind charakteristisch für eine Depression, nicht für das organische Krankheitsbild ME/CFS. Diesen Menschen fehlt weder Antrieb noch Lebensfreude, sie sind nicht "müde", sondern ernsthaft krank. Sie werden, meist nach einem akuten Infekt, von aktiven Menschen allen Alters, innerhalb kürzester Zeit arbeitsunfähig und schwerbehindert. Etwa 25% Prozent der Patienten sind so schwer eingeschränkt, dass sie das Haus kaum noch verlassen können. Zehn Prozent sind sogar dauerhaft ans Bett gefesselt. Körperliche Schwäche, Schmerzen und orthostatische Intoleranz machen sie, oft in jungen Jahren, zu Pflegefällen. Viele sind auf einen Rollstuhl angewiesen, manche auf Sondenernährung, weil sie zu schwach sind, um zu essen.

 

Das Leitsymptom von ME/CFS ist eine, oft zeitversetzt eintretende, Zustandsverschlechterung nach teilweise geringster körperlicher und kognitiver Anstrengung. Diese kann Tage, Wochen, oder sogar permanent anhalten. Die Zustandsverschlechterung bezieht sich auf sämtliche Symptome und kann insgesamt am ehesten mit dem überwältigenden Krankheitsgefühl bei einer schweren Grippe verglichen werden. Dass für diese Patientengruppe Sport und Verhaltenstherapie nicht nur wenig hilfreich sondern sogar schädlich sind, haben bereits zahlreiche Studien und Umfragen an tausenden Betroffenen belegt, erfahrene Kliniker wie Frau Professor Scheibenbogen von der Immunambulanz der Charité können dies bestätigen.

 

Die von Ihnen zitierte "PACE" Studie aus Großbritannien wurde aufgrund schwerwiegender methodischer Defizite bereits im Vorfeld von Patientenorganisationen weltweit scharf kritisiert. Vor allem die Auswahl der Probanden anhand der veralteten und unspezifischen "Oxford"-Kriterien, die bevorzugt Patienten mit Majorer Depression und psychosomatischer Erschöpfung einschließen, echte ME/CFS-Patienten hingegen ausgrenzen, lässt eine Aussage über die Anwendbarkeit der Studienergebnisse auf ME/CFS-Patienten schlichtweg nicht zu.

 

Ein Patient verglich diese Vorgehensweise sehr treffend mit folgender fiktiver Studie:

 

Angenommen, man erstellte eine Studie mit Probanden, die "Bauchschmerzen" als Symptom angeben. Darunter befinden sich Patienten mit Magenverstimmungen, Regelbeschwerden, Darmkrebs und Blinddarmentzündungen. Nun verabreicht man der Gruppe Schmerzmittel, was 40-60 Prozent der Patienten eine Linderung verschafft. Die Pressemitteilung zu dieser bahnbrechenden Studie lautet nun: "*Aspirin hilft gegen Darmkrebs!"*

 

Wir möchten Sie eindringlich bitten, in Zukunft die überwältigende Beweislage, die ME/CFS als schwere, körperliche Erkrankung darstellt, bei Ihrer Recherche miteinzubeziehen und so zu einer ausgewogenen Berichterstattung beizutragen. Tausende Patienten und deren Angehörige werden es Ihnen danken! Die Mitglieder des Bündnis ME/CFS stehen Ihnen jederzeit gerne mit Informationen zur Verfügung.

 

Diesen Brief werden wir als Offenen Brief auch auf unsere Webseite www.buendnis-mecfs.de einstellen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Nicole Krüger

Sprecherin Bündnis ME/CFS

Aktuell:

Videoanalysen zur Pace Trial - jetzt auf Deutsch! Sie finden die Videos HIER.